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Kunst und Klingen

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KULTUR UND KULINARISCHER VIELFALT

Ein ganzes Wochenende in Solingen „in Kultur“? Für Christiane Neubauer und ihren Mann Hans kein Problem.
Sie lieben es, Ateliers zu durchstreifen, Bilder und Skulpturen in Ruhe auf sich wirken zu lassen.
Und auch der Genuss darf nicht zu kurz kommen.

Für die Journalistin, die Reisereportagen für deutsche und internationale Medien schreibt, ist Solingen nur einen Katzensprung entfernt. Die gebürtige Rosenheimerin wohnt seit einigen Jahren mit ihrer Familie im rheinischen Neuss. Von dort aus hat sie schon halb NRW „erobert“– wahlweise zu Fuß, mit dem Rad oder Pkw. Mit dem Auto braucht man von Neuss über die A 46 weniger als eine Stunde und schon steht man mitten auf dem Marktplatz von Gräfrath …

Freitagabend

Auto auf dem Parkplatz „Am Brandteich“ sicher geparkt. Taschen im Hotelzimmer abgelegt. Nun erst mal ein kühles Getränk. Es ist ein lauer Abend wie aus dem Bilderbuch. Eine leichte Brise weht über den historischen Marktplatz. Seit dem 18. Jahrhundert wurde das Ensemble mit seinem schönen Brunnen kaum verändert. Einige wenige der Tische, die hier zum Verweilen einladen, sind noch frei. Also schnell ein lauschiges Plätzchen ergattert und eine zünftige Mahlzeit bestellt. „Historische Marktplätze sind immer ganz besondere Treffpunkte“, weiß Christiane Neubauer, „hier spürt man den Flair einer Stadt und erlebt, wie die Menschen miteinander umgehen.“ Tatsächlich treffen sich Einheimische wie Gäste rund ums Jahr gern in der „guten Stube“ der Stadt. Das beschauliche Gräfrath ist zugleich der kleinste und auch der am besten erhaltene Stadtteil von Solingen. Die Anfänge der Siedlung gehen zurück auf das 12. Jahrhundert. Ein Bummel durch die engen Gassen, die von liebevoll restaurierten, teils schieferverkleideten bergischen Fachwerkhäusern flankiert werden, ist für die historisch interessierte Journalistin nicht nur ein Muss, sondern ein großer Genuss. Besuchern rät sie, den ersten Abend in einem der zahlreichen Restaurants und Cafés am Marktplatz ausklingen zu lassen. Wer allerdings das Glück hat, dass am Anreiseabend eine Nachtwächtertour durch Gräfrath stattfindet oder gar ein Fest wie der „Lichterzauber“ oder „Kunst & Kostbarkeiten“, der sollte gleich die Gelegenheit wahrnehmen und auch die Hinterhöfe und verborgenen Ecken des verwinkelten Gräfrath und seiner 120 Denkmal-geschützen Häuser kennenlernen.

Samstagmorgen

Nach einem ausgiebigen Frühstück am Marktplatz – etwa im „Kaffeehaus“ oder dem „Café Florian“ – auf zu weiteren Streifzügen! Vom Ortskern führt eine 72-stufige Treppe hinauf zum Klosterberg. Rund um die ehemalige Abtei und Klosterkirche siedelten sich bereits im Mittelalter die ersten Gräfrather an. Der Ursprung der Kirche Sankt Mariä Himmelfahrt liegt im 12. Jahrhundert. Der heutige Bau – außen gotische Mauern, innen klassischer Hoch-Barock – ist aber bereits der vierte an gleicher Stelle und wurde 1727 vollendet. Im historischen Klostergebäude befindet sich das Deutsche Klingenmuseum. Hier kann man anhand wertvoller Sammlungen von Bestecken, Schneidwaren und Blankwaffen verschiedenen Epochen und Kulturen nachspüren.
Über kleine Umwege mit Blicken hier und dort in die liebevoll gestalteten kleinen Gärtchen mit Geranien und Steckrosen geht es zurück zum Marktplatz. Hier öffnen gegen zehn Uhr die meisten der Geschäfte und Ateliers. Auch die „Galerie Art-Eck“ von Dirk Balke, seit fast 35 Jahren hier beheimatet. Wechselausstellungen zeigen Exponate zeitgenössischer bildender Kunst aus Malerei/Grafik, Bildhauerei, Fotografie, Video und Installationen. Im Gespräch mit Christiane Neubauer verweist er auf eine in Pochoir-Technik gesprayte Bananen am Eingang des Ateliers: „Die hat Thomas Baumgärtel hier nach einer seiner Ausstellungen bei uns hinterlassen.“ Der als „Bananensprayer“ bekannte Kölner Graffiti-Künstler hatte im Frühjahr auch die Skulptur „Ruhender Verkehr“ für einige Wochen vor der Galerie postiert.
Begeistert sind Christiane und Hans Neubauer auch von der breiten Vielfalt an inhabergeführten Lädchen: hier Antiquitäten, dort eine Goldschmiede-Werkstatt. Im Backsteinbau der ehemaligen Stanzerei in der Straße Täppken das „Skriptorium“von Sabine Danielzig mit einer „Schreibschule“ für Kalligraphie. Ein paar Schritte weiter in der Straße „In der Freiheit“ lebt und arbeitet die Bildhauerin Christina Koester, die auch Kurse gibt. Ebenso Heike Buschkotte-Leichsenring in ihrem Atelier Bukolei.

Deutsches Klingenmuseum Solingen

Eines der „10 best
new museums“

Christiane und Hans Neubauer machen sich auf den fünfminütigen Fußweg zum ehemaligen Gräfrather Rathaus, erbaut 1908. Hier befindet sich das Kunstmuseum Solingen, das unter anderem Werke des Künstlers Georg Meistermann zeigt. Besonders interessieren sich die beiden aber für das dort ebenfalls ansässige, in Europa einmalige „Zentrum für verfolgte Künste“. 2015 eröffnet und seinerzeit vom britischen „Guardian“ als eines der weltweit zehn besten neuen Museen tituliert. „Ein eindrucksvoller Erinnerungsort“, findet Hans Neubauer. Gezeigt werden lange Zeit verbotene Werke verfolgter Künstler. „Dabei geht es unter anderem darum, die Folgen von Unterdrückung für das künstlerische Schaffen aufzuzeigen“, erläutert Kunsthistoriker Jürgen Kaumkötter, Direktor des Zentrums. Viel Aufmerksamkeit bekam das Zentrum Anfang des Jahres, als Jürgen Kaumkötter und sein Team gemeinsam mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau im Deutschen Bundestag in Berlin Werke von David Olère ausstellen konnten. Anlass war der 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Der gelernte Plakatmaler Olère überlebte das Konzentrationslager und erschuf anklagende, kaum auszuhaltende Kunst. Der Titel der aktuellen Ausstellung hier in Solingen, die noch bis 13. September zu sehen ist, lautet „Aus der Isolation“ und beleuchtet die Situation, wie sie sich im Frühjahr 2020 aufgrund der Verbreitung des Corona-Virus zeigte – im Dialog mit Werken der Sammlung, unter anderem von Oscar Zügel, Carl Rabus und Felix Nussbaum. „Wesentliche Motive sind Grenzerfahrungen wie Emigration, Flucht, Vertreibung, Verlust der bürgerlichen Freiheitsrechte und Isolation“, so Jürgen Kaumkötter. Illustriert werden dabei auch Wege AUS DER ISOLATION in die Freiheit.

 

Samstagnachmittag

So viel Erinnerungskultur muss erst einmal verdaut werden. Für eine Kaffee-Pause bietet sich die Terrasse des Restaurants „Junkbrunnen“ im Haus auf der untersten Etage an. Gestärkt und erholt macht sich das Ehepaar auf den Weg zur Müngstener Brücke. Einen Teil des Weges legen sie im für Solingen typischen, elektrisch betriebenen O-Bus zurück. Hier erwartet sie unter Deutschlands höchster Eisenbahnbrücke Monika Brandes in der so genannten „Eventschmiede“. In dem alten Schaltkotten, erbaut 1574, fertigt ihr Mann Michael BauerBrandes Skulpturen aus Stahl an, die den Schmiedemeister und Künstler weit über die Grenzen der Stadt bekannt gemacht haben. Aber auch Alltagsprodukte entwerfen und produzieren er und sein Team, etwa Tore, Geländer und Feuerstellen. Begeistert durchstreifen Christiane und Hans Neubauer die weiträumige Werkstatt. Bis zu 2000 Grad heiß wird die Steinkohle in den Öfen. Darin wird das Eisen solange erhitzt, bis man es noch glühend mit Hammer und Amboss bearbeiten kann. „Dafür braucht man ordentlich ‚wumm‘“, erklärt Monika Brandes lachend. Sie bietet regelmäßig Schmiedekurse an und zeigt, wie das geht. Nach rund zwei Stunden ist es soweit: Die Teilnehmer haben ihr erstes eigenes Messer selbst geschmiedet und nehmen es stolz mit nach Hause.

Eventschmiede Solingen

Sonntagvormittag

Auch im Rahmen von Werksführungen hat man die Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulissen der Schneidwaren-Produktion zu werfen, etwa bei Solinger Manufakturen wie Heinr. Böker Baumwerk, Franz Güde, Karl Bahns Burgvogel oder Otter-Messer. Sonntags aber bietet sich ein Besuch des LVR Industriemuseums in Merscheid an, in der ehemaligen Scherenschlägerei und Gesenkschmiede Hendrichs. In den Räumen hat sich seit der Schließung des Werkes im Jahr 1986 kaum etwas verändert. Noch heute zeigen ehemalige Beschäftigte im Blaumann den Besuchern, was Bestandteil ihres harten, anstrengenden Arbeitsalltags war – an den Pressen und Fräsmaschinen etwa. Und wie früher surren noch die Treibriemen, glühen die Öfen und hört man den lauten Schlag des Hammers. „Der perfekte Ort, um zu verstehen, wie Schneidwaren in den Fabriken früher hergestellt wurden“, meint Christiane Neubauer. Aber es gibt auch noch andere, landschaftlich pittoreskere Orte, um sich anzusehen, wie früher Messer und Scheren mit Hilfe von Wasserenergie an einem Schleifstein bearbeitet wurden: die Schleiferei Wipperkotten im letzten original erhaltenen Wasserkotten und das Schleifermuseum Balkhauser Kotten. Beide können sonntags besucht werden und es gibt in kleinen Lädchen auch Schneidwaren zu kaufen.

LVR Industriemuseum Solingen - Gesenkschmiede Hendrichs

Sonntagnachmittag

Als letzte Sightseeing-Station peilen die Neubauers noch den „Südpark“ an, eine Künstler- und Gastromeile mit ganz besonderer Ausstrahlung: Das vor Jahren noch triste Gelände rund um den früheren Hauptbahnhof wurde im Rahmen des Strukturprogramms „Regionale 2006“ attraktiv umgestaltet. Heute bieten die ehemaligen Güterhallen Raum für mehr als zwanzig Künstlerateliers, in denen Skulpturen, Gemälde und Fotokunstwerke entstehen. Sonntags sind die Ateliers zwischen 14 und 18 Uhr auch für Besucher geöffnet. Auch das ehemalige Bahnhofsgebäude ist sehenswert und steht unter Denkmalschutz. Tipps Drumherum haben sich einige Restaurants angesiedelt. Und im Sommer nutzen viele die Wiesen im Südpark für eine kleine Rast.
Bevor es zurück nach Neuss geht, gönnen sich Christiane und Hans Neubauer noch eine Vesper auf der Terrasse des Restaurants Pfaffenberg. Fast kitschig, der Blick von hier über die hügelige Landschaft. Aber er macht Lust auf ein baldiges Wiederkommen!

Informationen

Deutsches Klingenmuseum
Klosterhof 4, 42653 Solingen
www.klingenmuseum.de
geöffnet: Di. – Do. sowie Sa./So.:
10 bis 17 Uhr, freitags 14 bis 17 Uhr

Zentrum für verfolgte Künste
Wuppertaler Str. 160, 42653 Solingen,
Telefon: 0212 – 2 58 14-0,
www.verfolgte-kuenste.de
info@verfolgte-kuenste.de

Öffnungszeiten Di. – So. 10 – 17 Uhr
Im selben Haus wie das „Zentrum für verfolgte Künste“ befindet sich das Solinger Kunstmuseum mit der Kunstsammlung der Stadt Solingen und überregional beachteten Wechselausstellungen der Gegenwartskunst.

Galerie ART-ECK
Küllersberg 1, 42653 Solingen
www.art-eck.de 
geöffnet nach Vereinbarung und Fr. 14 – 19 + Sa. 10 – 14 Uhr

Der Südpark / die Güterhallen-Ateliers
Alexander-Coppel-Straße,
www.gueterhallen.de

Architektonisch interessant: das „Forum
Produktdesign“ in der ehemaligen Wartehalle
des Bahnhofs

Museum Plagiarius
Bahnhofstraße 11, 42651 Solingen
www.museum-plagiarius.de
(widmet sich dem Thema Ideenklau und
Produktpiraterie)

Fotos: Leon Sinowenka, Christian Beier
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