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Industriekultur erleben

Vom Spaltstück zum Rohling

 

Einhundert Jahre lang wurden in der Gesenkschmiede Hendrichs Scherenrohlinge produziert.
Heute erfährt man dort vieles über die harte Arbeit mit Fallhämmern, Pressen und Fräsmaschinen.
Und man kann auch selbst am Schraubstock werkeln. Ein ganz besonderer Erlebnisort für die ganze Familie!

Im Jahr 1986 wurde das LVR-Industriemuseum Solingen in der ehemaligen Gesenkschmiede Hendrichs eröffnet. Innerhalb weniger Monate war in einer historischen Fabrik eine besondere Art von Museum entstanden, in dem „richtig“ geschmiedet werden kann. Denn nach wie vor surren hier die Treibriemen, glüht der Ofen und schlagen die Hämmer.
Tradition und Moderne. Das gehört in Solingen zusammen. Dass ausgerechnet die Stadt im Bergischen zum Zentrum der Schneidwaren-Herstellung wurde, kam nicht von ungefähr.
„Nicht weit von hier gab es die notwendigen Erzvorkommen und direkt vor Ort die Wasserkraft in Form von Bächen und der Wupper als Antrieb für die schweren Schleifsteine“, erklärt Nicole Scheda, Schauplatzleiterin des LVR Industriemuseums Solingen. „Außerdem eigneten sich die Menschen im Bergischen schon früh ein enormes Fachwissen auf dem Gebiet der Fertigung von Messern und Scheren an.“ Ende des 18. Jahrhunderts waren es um die 400 Messerund 300 Scherenschmiede und noch heute beschäftigen sich rund 150 Solinger Betriebe mit der Produktion von Schneidwaren.
Als „Werkstatt für die Welt“ wurden die Kotten, Schmieden und Schleifereien in Solingen jahrhundertelang bezeichnet. Ihre Erzeugnisse gingen nämlich nicht nur ins benachbarte Europa, sondern mit Beginn des Überseehandels in alle Länder der Erde. Auf diesem wirtschaftlichen Hintergrund basiert auch die Gründung der Gesenkschmiede Hendrichs 1886 durch die Brüder und Scherenfeiler Peter-Wilhelm und Friedrich-Wilhelm Hendrichs. Ihr Unternehmen expandierte und
gehörte zu Hoch-Zeiten mit 33 Fallhämmern zu den größten Betrieben Solingens.

Fertigung von Scherenrohlingen

Die Gesenkschmieden – auch Schlägereien genannt – waren als Rohwarenproduzenten sozusagen die Vorzimmer der Solinger Industrie.
Gefertigt wurden im heutigen Museum die Scherenrohlinge. Für filigrane Stickscheren ebenso wie für robuste Kartonscheren. Dafür brauchte es viele verschiedene Werkschritte. Die fertigen Scheren entstanden erst bei der Weiterverarbeitung durch spezialisierte Fachkräfte, meist in Heimarbeit. Schauplatzleiterin Nicole Scheda erklärt: „Das ganz Besondere unseres Museums ist eben genau das: Es ist eine Fabrik.
Hier wurde hundert Jahre Schwerstarbeit geleistet. Dem spürt man als Besucher bei jedem Schritt nach und auch, indem man die Maschinen und Werkzeuge selbst anfasst.“
Was genau etwa in Kesselhaus, Dampfschleiferei, Schneiderei, Schmiede
und Werkzeugmacherei vor sich ging, erfährt man bei einem geführten Rundgang durch die mehr als 3500 Quadratmeter große Ausstellungsfläche. Teils zeigen sogar ehemalige Beschäftigte an den Pressen und Fräsmaschinen, was früher Bestandteil ihres harten, anstrengenden Arbeitsalltags war.

Johann Lafer in Solingen bei Gehring Messer

In den Räumen der früheren Scherenschlägerei und Gesenkschmiede F.& W. Hendrichs hat sich kaum etwas verändert seit der Schließung des Werkes 1986. Das Fabrikensemble aus roten Backsteinen, der alte Firmen-Schriftzug, ein weithin sichtbarer, hoher Schornstein und die typischen schrägen Sheddächer, damit das Licht gut in die Werkshallen fallen konnte – alles noch so wie damals.
Auch das Interieur ist noch weitgehend wie zur Zeit der letzten Fertigung: der Umkleideraum mit den alten Spinden und der Waschraum mit einer langen Reihe drehbarer Waschschüsseln und einer für die damalige Zeit beeindruckenden Dampfheizung. Ebenso das Maschinenhaus und Kontor mit der alten Schreibmaschine. Beeindruckend auch eine Sammlung von teils einem Meter langen Schraubenschlüsseln, die der Überprüfung bzw. Reparatur der Maschinen dienten. Ebenfalls Teil der Ausstellung: Fallhämmer, Pressen und Fräsmaschinen, Werkzeuge und Werkbänke der Werkzeugmacher, die allesamt etliche Gebrauchsspuren aufweisen.
Gerade wird der gesamte, denkmalgeschützte Eingangsbereich umgebaut. Die neue Informationstheke ist schon da, nach und nach wird der ganze Raum weiter umgestaltet und etwa durch neue gemütliche Sitzbereiche und innovative Informationstafeln modernisiert.

Ohne Riemenfallhämmer
keine Scheren

Die wichtigsten Maschinen der Gesenkschmiede waren die Riemenfallhämmer. Wo in den frühen Jahren ein „normaler“ Amboss gereicht hatte, übernahm Anfang des 20. Jahrhunderts eine sogenannte schwere Stahlschabotte. Um die Scheren maschinell zu schmieden, donnerte der Fallhammer mit einem Gewicht von 200 bis 1000 Kilogramm auf das Werkstück, das auf dem Gesenk lag. Selbstverständlich stand neben jedem Hammer ein Ofen, in dem das zu schmiedende Spaltstück auf Schmiedetemperatur gebracht wurde. Schnell musste der Schmied – und das bis zu 2500 Mal in einer Schicht – solch ein Spaltstück erhitzen, schlagen und ablegen.

Messermanufaktur Güde Solingen

Lärm, Hitze und
dicke Luft

Wird der Fallhammer heute vorgeführt, so gibt es einen gewaltigen „Knall“ in der Schmiede, denn der Lärm, mit dem er auf den glühenden Stahl fällt, ist schon ohrenbetäubend. Mit einem geübten Griff zieht der Schmied dann das heiße Eisen mit einer Zange aus der Form und legt es zum Auskühlen ab. „Das ist wie Waffelbacken, nur mit Gesenken“, erklärt der gelernte Schlosser und Messermacher Thomas Pludra, der Besucher gern durch die Ausstellung führt.
Während der Arbeitsschichten fielen die schweren Hämmer damals im Sekundentakt geräuschvoll hinab, um aus dem glühenden Stück Stahl einen Scherenrohling zu formen. Was für ein Lärm das gewesen sein muss! Die Luft voller Ruß, so dass man die eigene Hand vor Augen kaum sehen konnte. Und bedingt durch die vielen Öfen, in denen der Stahl zum Glühen gebracht wurde, auch eine unerträgliche Hitze. „In der Maschinenhalle herrschten Temperaturen bis zu 70 Grad“, so Thomas Pludra. Und auch, wenn das Museums-Team die historischen Antriebsmotoren regelmäßig anwirft, um die Arbeitsweise vergangener Tage zu zeigen – es braucht schon etwas Fantasie, um sich Hitze, Lärm und die Szenerie von damals vorstellen zu können.

Alles echt im LVR- Industriemuseum

Zentrum für verfolgte Künste in Solingen

Informationen

LVR-Industriemuseum
Gesenkschmiede Hendrichs
Merscheider Straße 289-297, 42699 Solingen,
www.industriemuseum.lvr.de

Öffnungszeiten:

Di – Fr 10:00 – 17:00 Uhr,
Sa, So und an Feiertagen 11:00 – 18:00 Uhr

Aufgrund von Betriebsferien geschlossen
vom 24.12.2021 bis einschließlich 1.1.2022
sowie über Karneval und an Karfreitag,
Ostermontag und Pfingstmontag.

Freier Eintritt einmal jährlich für Besitzer:innen
der RuhrTopCard und RheinlandCard.

Eintrittsfreier Tag für alle:
1. Freitag im Monat.

Regulärer Eintritt: 5,50 €, ermäßigt 4,50 €
(Studenten, Schwerbehinderte, Arbeitslose),
Gruppen ab 10 Personen 4,50 € pro Person,
Kinder und Jugendliche (bis 18 Jahre):
Eintritt frei.

Tickets sind online erhältlich bei
www.kulturinfo-rheinland.de, Anmeldung
sonst auch per Fon: 02234 992 1555 oder
E-Mail: info@kulturinfo-rheinland.de.

Geprüfte Barrierefreiheit für Menschen mit
Seh- und/oder Gehbehinderung. Hunde haben
im Museum keinen Zutritt, ausgenommen von
der Regelung sind Assistenzhunde.

Fotos: Leon Sinowenka, LVR-Industriemuseum – Miriam Schmalen
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